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Der Glücksfaktor im Examen

Wieviel machen Glück und Pech im Examen aus?


Dieser Beitrag basiert auf einem Instagram-Post, den ich kürzlich veröffentlicht habe, aber ich habe ihn für den Blog noch einmal überarbeitet und berichte zusätzlich von meiner persönlichen Erfahrung zu diesem Thema.


Die Frage, wieviel vom Examen Glück abhängt, kam recht häufig von Euch. Sie bereitet vielen von Euch Unsicherheit damit auch Ängste vor Kontrollverlust und einer Art „Ausgeliefertsein“. Diese Art der Unsicherheit, die sich über einen langen Zeitraum erstreckt, ist wahrscheinlich ein ganz wesentlicher Aspekt, der die Drucksituation im Juraexamen anders macht als in anderen Studienfächern. Der ausgelöste (Dauer-)Stress ist fatal. Er ist belastend und er schränkt Euch in Eurer persönlichen Leistungsfähigkeit im schlimmsten Fall auch ein, was Euch wiederum verunsichern kann.


Hierzu ein paar Gedanken, die Euch helfen sollen, Euch von dieser Gedankenspirale zu distanzieren:


Den „Glücksfaktor“ gibt es. Er betrifft z. B. die Auswahl des einzelnen Themas in einer Klausur. Da kann zufällig ein Urteil drankommen, was ich vor zwei Tagen gelesen habe. In der anderen Klausur kommt genau der Aspekt dran, den ich auf Lücke lernen musste oder zudem die Lerneinheit lange zurück liegt.


Wichtig sind aber zwei Dinge: Konzentriert Euch auf das, was Ihr kontrollieren und steuern könnt und macht Euch bewusst, dass das den Löwenanteil Eurer künftigen Noten ausmacht.

Glück ist nur ein kleiner Faktor. Denn die genannten Unsicherheitsaspekte betreffen nur Einzelthemen wie z.B. einen speziellen Meinungsstreit und damit auch nur einzelne Klausuren und auch in den Klausuren häufig nur einzelne Abschnitte.


Meine persönliche Erfahrung: Glück und Pech gleichen sich i. d. R. auch etwas aus.

Das war bei mir im Ersten und im Zweiten Examen so. Ich erzähle Euch gerne meine Geschichte: Vor den Klausuren in der Staatlichen Pflichtfachprüfung hatte ich nach Abschluss des Rep-Jahreskurses noch etwa 2-3 Monate Zeit, um alles zu wiederholen. Dabei gab es auch noch einige wenige Themen, die ich mir während des Jahreskurses schon markiert hatte, weil ich sie nicht gut nachgearbeitet hatte und sie letztlich auch in keiner Probeklausur so richtig drankamen. Am Ende blieb eine Lücke, einen Tag vor der Klausur, meine Nerven waren am Ende und ich weiß noch, wie ich zu meiner Mutter sagte (ich hatte mich für die letzten Wochen zu meinen Eltern verzogen): „Es gibt da ein Thema, das schaffe ich jetzt einfach nicht mehr und ich mache mich nur nervös, wenn ich da jetzt noch einsteige, ich lass das jetzt so.“ Vermieterpfandrecht war das Thema und ein weiterer Post-it lag da noch „ZPO wiederholen“.


Es war wie im Film, als ich die Z II aufschlug und las „Vermieter… nahm die Sache… Pfändung… in der Wohnung… Klage… Widerklage.“ Ok, ciao. Ernsthaft, das ist über 15 Jahre her und ich erinnere mich bis heute an meinen Puls in der Situation. Der war glaub’ ich im ganzen Raum zu hören. Nach einer Runde unnötiger Vorwürfe und regelrechter Lähmung in meinem Kopf, habe ich mich gedanklich sortiert, geatmet (ein Hoch auf meine Oma, die mir früh schon ein bisschen was über autogenes Training beigebracht hat) und mich ans Werk gemacht. So habe ich mich da durchgeackert und habe irgendwie versucht meinen Kopf drumherum zu bekommen, dass der Vermieter das Pfandrecht nicht in Besitz hat, wohl aber Pfandrechte – wie ich meinte, gelernt zu haben – immer Besitz voraussetzten. Hätte ich das eine Kapitel noch gelesen, wäre wahrscheinlich hängen geblieben, dass das Vermieterpfandrecht ein besitzloses Pfandrecht ist, aber das wusste ich nun nicht. Aber: Ich habe versucht, das Gesetz irgendwie auf die Situation anzuwenden und bin unter Anwendung klassischer Auslegungsregeln zu dem vorgezeichneten Ergebnis gekommen, dass hier „ausnahmsweise“ der Besitz entbehrlich sein muss. Die ganze Klausur hätte sonst keinen Sinn ergeben.


(Kleine Anmerkung: Wenn ich jetzt auf § 562 BGB ff. schaue, muss ich sagen, dass das wirklich sehr auf der Hand lag und auch das Gesetz sonst keinen Sinn ergeben hätte, aber seien wir gnädig mit meinem Jura-ich von vor über 15 Jahren. Ich war gestresst, hielt mich an meinem Wissen zu Besitzpfandrechten fest und brauchte da eben ein bisschen Zeit für in dieser Situation. Und das ist okay.)


Mit meinem juristischen Werkzeug habe ich das Problem aber letztlich gelöst. Das hat mich wie gesagt furchtbar viel Zeit gekostet und galant war das nicht und dann kam ja noch die ZPO-Problematik um die Ecke. Also, lange Rede kurz: Ein vollbefriedigend ist die Klausur nicht geworden, aber ich bin da mit sieben Punkten rausgegangen. Im Strafrecht hingegen (gleicher Durchgang) habe ich einen absoluten Glückstreffer gelandet und konnte den Fall richtig gut und schnell bearbeiten. In der Mündlichen Prüfung gab es dann genauso noch einmal Glück und einmal Pech und auch im Zweiten habe ich es genau so erlebt. Die erste Klausur war eine Katastrophe, ich hatte kaum geschlafen, war mental in keiner guten Verfassung, weil ich mit einer Verletzung an meiner Schreibhand zu kämpfen hatte und übermüdet war. Diese Klausur habe ich einfach nicht gut angepackt bekommen und dann noch den Kardinalsfehler gemacht und 10 Minuten vor Schluss am Tenor meines Urteilsentwurfs rumgedoktort. Das Ergebnis war bescheiden. Drei Tage später in der Zwangsvollstreckung kam wiederum genau „mein Thema“ dran und die Note zog den Schnitt ordentlich nach oben.


Diese Geschichte ist – da bin ich mir sicher – nur eine von vielen Geschichten, die mit einem insgesamt guten Ergebnis geendet sind. Sie soll Euch zeigen, dass das Pech nie alle Aspekte einer Klausur und erst recht nicht alle Klausuren betrifft. Heute gerade habe ich der Folge #10.5 des ref.pod-Podcasts meiner Kollegen aus Hamm den Tipp eines AG-Leiters an Referendar:innen gehört (der auch für Studierende vor der Ersten Prüfung gilt, wie ich finde): „Keine Angst vor den Klausuren. Immer Pech gibt’s nicht“. Und ich kann das nur unterschreiben.


Für alle, die sich hin und wieder „ausgeliefert“ fühlen, heißt das: Es wird sicher nicht von Glück allein (!) abhängen, ob man durchfällt. Ich halte es für unglaublich wichtig, sich das vor Augen zu führen.


Denn das Gefühl der Unsicherheit ist berechtigt - aber nur in Bezug auf Nuancen (!) in der Gesamtnote. Es wird in der Realität jedoch oft mit der existenziellen Sorge vor dem Durchfallen vermischt. Und da kommt diese unbegründete Angst dann her.

Was Ihr außerdem aus meiner Geschichte lernen könnt: Wenn Ihr Euch unsicher fühlt, besinnt Euch auf das erlernbare juristische Werkzeug. Versucht, in den Basics fit zu sein, die Auslegungstechniken zu beherrschen und zu verstehen und Grundlagenwissen regelmäßig zu wiederholen.


Und noch ein ganz wichtiger Tipp: Um das Gefühl der Unsicherheit loszuwerden, fokussiert Euch auf die wichtigste und realistischste Kontrollmöglichkeit, die Euch zur Verfügung steht: Probeklausuren. Hier bekommt Ihr ein echtes und individuelles Feedback, mit dem Ihr arbeiten könnt und überprüfen könnt, ob Ihr das Werkzeug beherrscht und wo noch Verbesserungspotenzial versteckt ist.


Also: Ein konsequentes und individuelles Lernprogramm, eine kritische Selbstanalyse und ein starke mentale Einstellung können ein Bestehen recht sicher werden lassen.

Natürlich ist es ärgerlich, wenn mal Glück und Pech nicht im Ausgleich stehen und vermeintlich durch solche Nuancen der entscheidende Punkt zum Notensprung verloren geht. Es ist frustrierend, die persönlichen Ziele nicht zu erreichen und die Angst davor stresst Euch eventuell auch. Aber dieser Stress wegen dem Glücks- oder Pechfaktor darf nicht existenziell werden. Sich immer wieder diese geringe „Fallhöhe“ vor Augen zu führen, und sich klarzumachen, dass man ganz viel auch in der Hand hat, ist also wichtig.


Und ja, es gibt auch Fälle, in denen jemand mit einer Klausur zB „Pech“ hatte und die Nuance dann eben der wichtige Punkt zum Bestehen war. Aber, auch wenn es hart klingen mag, ich lege mich fest: Selten lag das Durchfallen da – so meine These – allein(!) an Glück/Pech und Faktoren, die außerhalb der eigenen Macht liegen. Auf dem Weg zum Examen hätten die individuellen Schwächen möglicherweise mehr Reflexion gebraucht, oder es hat an persönlichen oder äußeren Umständen gelegen, die von einem konsequenten Lernprogramm abgehalten haben.


Zu guter Letzt: Auch das hat nichts mit Schuld oder Fehlerhaftigkeit der Person zu tun. Das Leben ist, wie es ist. Und wenn Ihr auf dem Weg zum Examen in Situationen geraten seid, die euch von eurem Lernprogramm abgehalten haben, dann sollte ein Scheitern im Examen auch im Lichte dessen gesehen werden. Es ist furchtbar anstrengend, aber ihr habt eine zweite Chance. Nutzt sie!


Fußnote:

Eventuell fragt Ihr Euch, was ich im Nachhinein im Bezug auf diese Lücke im Vermieterpfandrecht anders gemacht hätte. Das ist schwer zu sagen, denn grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Entscheidung, einen Strich unters Lernen zu ziehen, in der Situation richtig war. Ich weiß nicht, ob ich mental stabiler gewesen wäre, wenn ich das Thema einen Tag vor den Prüfungen mit Stress nur quer gelesen hätte und mir dann in der Klausur gleichermaßen Vorwürfe gemacht hätte, dass ich das nicht vertiefter getan habe. Dennoch würde ich aufgrund dieser Erfahrung immer dafür plädieren, solche Lücken nicht völlig blank und unbearbeitet offen zu lassen. Retrospektiv hätte ich mir wahrscheinlich eine Woche vor den Prüfungen geraten, eine Einheit Rechtsprechungslektüre wegzulassen und dafür diese Lücke grob zu schließen.

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