Ihr wisst vielleicht, dass ich immer auch einen Blick darauf werfe, was bei der aktuellen Generation der Studierenden besonders – und insbesondere anders als bei mir – ist. Also lasst uns mal über die Themen "Freischuss", "Freisemester" und "Corona" sprechen!
Da hat sich nämlich viel getan. Und Ihr werdet am Ende des Beitrags verstehen, warum ich hier den Blick in die Vergangenheit werfe. Ursprünglich lag den Reformen der Juristenausbildung Anfang der Nullerjahre mal die Idee zugrunde, dass vor dem ersten Versuch (Freiversuch) nach Abschluss des achten Semesters eine Vorbereitungsphase von zwei Semestern dafür eingeplant wird, um sich für das Examen fit machen zu können. Für viele ließ sich die Anzahl der Freisemester auf drei erhöhen, da sie besondere Gründe (z. B. FFA oder Fachschaftstätigkeit) vorweisen konnten. Es dauerte nicht lange, bis sich rumsprach, dass man den Schwerpunkt auch nach der staatlichen Pflichtfachprüfung machen kann. Hierdurch verlängerte sich die Zeit nach der Zwischenprüfung bis zum Freischuss für einige nochmal. Und dann kam Corona. In NRW sind es z. B. vier Semester, die bei der Berechnung unberücksichtigt bleiben.
Das heißt, dass der ursprüngliche Anreiz, den man schaffen wollte, völlig versandet. Ich will mich nicht gegen die oben aufgezählten Möglichkeiten der Anrechnung von Freisemestern aussprechen. Sie alle haben ihre Berechtigung.
Aber – wie immer – ich möchte, dass Ihr das reflektiert. Es hat einen Grund, warum die Ansicht vertreten wurde, dass zwei bis drei Semester Examensvorbereitung reichen.
Nicht um Euch zu quälen, sondern um diesem Kraftakt einen klaren zeitlichen Rahmen zu geben. Man beobachtete unter der alten (also ganz alten 90er-Jahre-) Ausbildungsordnung immer wieder, wie sehr sich angehende Jurist:innen auf dem Weg in ewiger Vorbereitung verlieren und teils nie zum Examen melden, weil sie nie das Gefühl hatten, „fertig“ zu sein. Dieses Ziel ist auch quasi unerreichbar. Man läuft Gefahr, hier immer im Kreis hinter dem Vergessen herzulaufen, denn je detaillierter und länger ich lerne, desto weiter liegt wieder das anfänglich Gelernte zurück. Deshalb hieß das Gesetz, mit dem der Freiversuch eingeführt wurde, auch „Gesetz zur Verkürzung der Juristenausbildung“.
Werdet Euch bewusst, dass Euer Gehirn in dieser Zeit der Examensvorbereitung trainiert wird und lernt, unglaublich viele Bälle in der Luft zu halten, wie ein Jongleur. Aber irgendwann ist bei allem Training die Kapazität erschöpft. Entweder es werden zu viele Bälle und für jeden neuen Ball, fällt ein anderer runter oder die Arme werden irgendwann einfach lahm und man verbringt lange Zeit nur damit, weitere Kraft da rein zu stecken, den status quo zu halten. Der beste Zeitpunkt für das Examen ist theoretisch (!) der, in dem man erstmals seine persönliche Maximalzahl an Bällen sicher jongliert.
„Ja, den in der Praxis zu finden, ist doch unmöglich?“ Irgendwie ja, aber auch nein. Denn hier hilft Euch ein psychologischer Effekt, den viele schonmal kennengelernt haben, wenn sie „unter Zeitdruck arbeite ich besser“ gesagt haben.
Das Parkinson'sche Gesetz beschreibt ein psychologisches Phänomen und besagt sinngemäß, dass Arbeit sich immer in dem Zeitraum ausdehnt, der dafür zur Verfügung steht.
Eine Aufgabe kostet mich also tendenziell so viel Zeit, wie ich dafür einplane. Auch das hat beim Rep nach unten natürlich Grenzen. Dennoch: Rep in acht Monaten ist auch möglich; man arbeitet dichter und eventuell weniger detailliert, hat aber auch ein paar Monate weniger Vergessen zu bekämpfen.
Bleiben wir gedanklich bei einer als üblich erachteten Untergrenze von 12 Monaten. In dem zeitlichen Rahmen zwischen 12 und 18 Monaten ist die zeitliche Planung eine sehr persönliche Frage und wenn die Möglichkeit besteht, ist es sicher hilfreich, zwischen Rep-Ende und erster Klausur noch ein paar Wochen oder Monate zu haben. Es ist aber vor dem Hintergrund des o. g. Effektes gut möglich, dass dieselbe Person mit 18 Monaten und mit 24 Monaten Vorbereitung im Ergebnis inhaltlich denselben Stand hat.
Also: Hinterfragt Eure Pläne vielleicht noch einmal kritisch, wenn Ihr über 18 Monate Examensvorbereitung plant. Vor allem die zusätzlich zeitliche Entfernung vom Ende eines Rep-Kurses kann dafür sorgen, dass ihr Bälle wieder fallen lasst, die schwierig wieder aufzugreifen sind.
Viel hilft hier also nicht immer viel.
Eine Anekdote noch, um das zu verdeutlichen. Einige von Euch wissen, dass ich vor Jura Geschichte studiert habe. Dieses Studium endete mit einer umfangreichen Magisterarbeit und war weniger durchgetaktet, als die heutigen Masterstudiengänge. Offiziell hatte man nach Meldung des mit einem Lehrstuhl abgestimmten Themas vier Monate Zeit für diese Abschlussarbeit. Die Praxis sah aber so aus, dass die meisten ihr Thema abgesprochen haben, dann ihre Arbeit geschrieben haben und diese Meldung erst einreichten, wenn die Arbeit „fertig“ war. Und jetzt kommt das Problem: Fertig ist man subjektiv nie. Ich habe von vielen Kommiliton:innen damals gehört, die über ein Jahr, teils bis zu zwei Jahren an ihren Arbeiten saßen. Ich musste/wollte da „durchjagen“, weil ich mich zu dem Zeitpunkt schon für das Jurastudium eingeschrieben hatte und die dortige Klausurphase meine Arbeitszeit einfach faktisch begrenzte. Deshalb habe ich mich direkt gemeldet – und hab die Arbeit in vier Monaten fertigbekommen. Nicht weil ich „besser“ war, als meine Komiliton:innen, sondern weil ich durch die Deadline nicht dem Parkinson-Effekt unterlegen war – beziehungsweise ihn für mich genutzt habe.
Am Ende noch das Offensichtliche: Fast niemand wird Euch von der Zeit der Examensvorbereitung vorschwärmen; für die meisten ist es ein Lebensphase, die auch retrospektiv als sehr belastend empfunden wurde.
Haltet diese Lebensphase also eher kurz (bzw. „normal“) als lang, damit es Euch auf die lange Dauer nicht zermürbt und Ihr Jura am Ende nur noch hasst. Und für den Fall (auch das sollte man mitdenken), dass es nicht so gelaufen sein sollte wie erhofft, braucht Ihr ja außerdem auch nochmal Kraft und mentale Stärke für die Frage, ob Ihr einen Wiederholungs- oder Verbesserungsversuch schreiben wollt.
Mein Fazit: Es gibt kein richtig und kein falsch, aber hinterfragt Euer Vorgehen mit Blick auf die eben genannten Aspekte noch einmal kritisch, wenn Ihr mehr als eineinhalb Jahre Lernzeit einplant. Das Thema kann wahnsinnig verunsichern. Schreibt mich gerne an, wenn Ihr das individuell besprechen wollt.
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Fußnote:
„Wie gut war deine Arbeit denn dann?“ fragen sich bestimmt jetzt einige. Für die volle Transparenz: Ich habe ein bisschen Punktabzug für ein paar formale Ungenauigkeiten bekommen, weil es schon arg gequetscht war, es ist insgesamt aber sehr gut gelaufen.
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