Meine Vermutung ist (und eine kleine, völlig unrepräsentative Umfrage hat das bestätigt), dass sehr viele Studierende ihre Informationen über das Examen vorrangig von Komilition:innen oder über Social Media und dort auch häufig über Accounts von Studierenden erhalten. Grundsätzlich ist es toll, wenn unter Studierenden ein reger Austausch zu Studienthemen besteht. Aber es birgt auch eine Gefahr, die sich durch einzelne Rückmeldungen auch immer wieder bestätigt: Das Bild vom Examensdruck, der Schwierigkeit der Klausuren und dem „Ausgeliefertsein“ wird unter Studierenden häufig sehr überzeichnet. Es ist nicht leicht, das steht außer Frage. Es ist – wie ich selbst an anderer Stelle formuliert habe – auch wirklich ein Kraftakt. Aber es ist auch kein Hexenwerk und auf jeden Fall machbar. Schwierig wird es hingegen, wenn Angst und Panik Überhand gewinnen. Diese Sorgen beeinträchtigen Eure Leistungsfähigkeit und Euer Wohlbefinden im Studium – und nicht zuletzt Euren Spaß daran – erheblich. Deshalb kann es sogar dazu führen, dass so eine negative Stimmung unter Studierenden zur self-fulfilling prophecy wird.
Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht und ein paar Denkanstöße gesammelt, die Euch den Umgang mit einer solch überzeichneten Legendenbildung erleichtern sollen.
Berücksichtigt bitte zunächst, dass diejenigen, die selbst noch kein Examen haben, Euch sicher kein realistisches Bild davon vermitteln können werden – no offense, woher auch? Es sollte sich also erstmal die Frage stellen, woher jemand eine Information hat und wie realistisch eine solche Information ist. „Alle fallen durch Sachenrecht“ ist schonmal sicher keine realistische Information. Aber auch „in Strafrecht ist es super schwer gute Punkte zu bekommen, da gibt es so eine gläserne Decke bei 7 Punkten“ sollte man ruhig mal hinterfragen. Woher sollte ein:e Student:in eine solche vermeintlichen (!) "Insiderinformationen" haben?
Also erst mal ruhig bleiben, Abstand zu solchen Aussagen gewinnen. Und wie?
Hier hilft es, sich die Frage zu stellen, warum unter Studierenden so ein teils überzeichnetes Bild vom Examen verbreitet wird:
Manchmal ist es einfach Unwissenheit gepaart mit dem „stille Post“-Phänomen. Das klingt banal, aber schon das macht einiges aus. Vor allem, wenn dann noch folgender Effekt, den ich an anderer Stelle schonmal skizziert habe, hinzukommt: Viele Menschen werden Euch über das Examen – z. B. in Smalltalk-Situationen oder in der Kaffeepause – eher die Horrorgeschichten (oder die Genielegenden) erzählen, als die Stories, in denen es einfach durchschnittlich oder okay gelaufen ist. Einfach weil es spannender ist. Und die Extreme in diesen Geschichten werden durch die „stille Post“ (auch mangels echter Erfahrung der Beteiligten) immer größer und schlimmer und krasser. Wenn dann bei Euch noch die selektive Wahrnehmung zuschlägt, wächst das Horrorszenario natürlich ins unermessliche und damit wachsen die Angst und der Druck. Ihr merkt sicher: Alles schreit hier danach, die Handbremse zu ziehen und aus diesem Zug auszusteigen.
Und das wird Euch noch einfacher fallen, wenn Ihr Euch Folgendes klar macht: Es scheint leider die traurige Wahrheit zu sein, dass eine sehr spezielle Kultur des Angstmachens unter Jurist:innen wirklich existiert. Warum? Viel davon läuft sicher unterbewusst ab. Ältere Semester geben unbewusst den Vibe weiter, der Ihnen in ihren unerfahrenen ersten Semestern entgegen geschlagen ist. Manche werden sicher auch durch ihre eigenen Ängste und Unsicherheiten (bewusst oder unbewusst) dazu veranlasst, andere wiederum ebenfalls zu verunsichern, zum Beispiel um mit ihren Gefühlen nicht alleine zu sein. Diese Ursachenforschung ist letztlich aber nur ein Versuch, von der Sorge, dass böswillige Angstmacherei dahinter steckt, abzulenken. Aber seien wir ehrlich: Letztlich ist es für Euch bei dem Thema auch egal, die möglichen Gründe zu hinterfragen. Es kommt doch darauf an, die Situation zu erkennen und sich von einer Person, die Ängste aufbauscht, konsequent fernzuhalten.
Und zuletzt noch drei Tipps, um aktiv Einfluss auf Eure Perspektive und Eure Ängste nehmen zu können:
Vertraut darauf, dass Ihr mit einem Ansatz, der Raum für mentalen Ausgleich lässt, balanciert ist und auf Effizienz setzt, viel mehr schaffen könnt, als Ihr anfangs wahrscheinlich glaubt! 💪
Hört Euch auch die Geschichten von Absolvent:innen an, die nicht von sich aus vom schlimmen Examen erzählen. Fragt einfach mal nach, im Praktikum zum Beispiel. Auch diese Menschen werden die Zeit nicht toll gefunden haben. Das wäre eine in die andere Richtung unrealistische Erwartung, weil es einfach harte Arbeit ist. Aber ich bin sicher, es wird im Verhältnis zu den erwähnten „Horrorgeschichten“ auch viel Ermutigendes dabei sein. 💪
Sucht Euch eine Lerngruppe nicht nach Leistung aus, sondern danach, ob Eure Lernpartner:innen verstanden haben, dass ehrliche Reflektion wichtig ist, man Panikmache meiden sollte und gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung die wichtigsten Voraussetzungen für den gemeinsamen Weg sind. 💪
So. Heißt das jetzt, dass alles easy ist?
Was ist zum Beispiel mit der Kritik durch Studierendenverbände und auch Absolvent:innen? Hierzu eine Anmerkung, die mir ganz wichtig ist:
Nein, Examensvorbereitung ist kein Selbstläufer und auch nicht easy. Und meine vorangehenden Ausführungen schließen kritische Positionen auch nicht aus, denn da geht es erstmal nur um Überzeichnungen und Übertreibungen unter Studierenden und nicht um den institutionellen Rahmen.
Was ich mir aber zusätzlich wünschen würde, wäre auch diesbezüglich eine differenziertere und reflektierte Bewertung durch (uns) Absolvent:innen. Häufig lese ich da eben etwas von Kritik pauschal am Studium im Zusammenhang mit genau der beschriebenen Erfahrung mit Angstmacherei unter Studierenden. Mitunter wird dies mit Forderungen an Gesetzgebung oder Universitäten vermischt.
Ich halte das für problematisch. Ja, es ist wirklich wichtig, über das Problem der mentalen Belastung durch das Studium und insbesondere in der Examensvorbereitung sprechen – das ist Teil meines Konzepts. Aspekte wie Lerntheorie, -strategie und mentale Stärke dürften im studentischen Austausch in der Vergangenheit sicher zu kurz gekommen sein.
Gleichzeitig sollten wir (Voll-)Jurist:innen aufpassen, dass unsere Beiträge zu aktuellen Diskussionen über Belastung im Studium nicht zum Boomerang für Studierende werden. Es ist doch gerade auch die ewige Legendenbildung um das Horrorexamen, die denen, die das alles noch vor sich haben die Farbe aus dem Gesicht zieht. Häufig wird die negative Erfahrung mit der auch schon vor Jahren unter Studierenden geschürten Angst zusammengefasst mit Pauschalkritik; mitunter auch unter dem Stichwort Reformbedarf. Das verunsichert Studierende in den frühen Semestern enorm, denn sie können das eventuell noch nicht differenziert betrachten. Lasst uns da bitte präzise diskutieren und mit triggernden Darstellungen sensibel und bedacht umgehen.
Das ermöglicht uns, Studierenden die Aspekte vor Augen zu halten, die schon jetzt jede:r im Studium anders machen kann: Für eine positivere Kultur unter Studierenden einzustehen, sich von negativen Glaubenssätzen zu distanzieren, weniger hustle culture zu propagieren und achtsam mit den eigenen Ressourcen umzugehen.
Disclaimer: Hier ging es heute um (übermäßig) geschürte Ängste vor dem Examen unter Studierenden und ich möchte darauf hinweisen, dass ich hier nicht solche Ausmaße von Ängsten meine, die aus psychologischer Sicht als pathologisch eingestuft werden müssen. Es geht um Sorgen, Nervosität und Unsicherheit außerhalb dieses Spektrums, weil ich keine Psychologin bin und diesbezüglich keine Bewertungen, geschweige denn Empfehlungen abgeben kann. Wenn Ihr unter Ängsten leidet und Zweifel habt, ob diese einer therapeutischen Einschätzung bedürfen, dann zögert nicht, Euch zu dieser Frage weitere Hilfe zu suchen. Ihr könnt Euch zum Beispiel an Beratungsstellen zum Thema Prüfungsangst, die es an den meisten Universitäten gibt, oder in akuten Fällen an die Telefonseelsorge unter 0800 / 111 0 111 wenden.
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